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Geschichte

Zur Geschichte der Besiedelung von Vallorcine

Gegenüberstellung der Theorien: Um das Jahr 1000 befand sich Europa in einer Zeit der Umwälzung. Die Völkerwanderungen waren vorüber, das Klima wurde milder, die Bevölkerung wuchs sehr schnell. Damit wurde auch der Bedarf an urbarem Boden größer und man begann große Flächen zu roden und auch das Alpengebiet bis in große Höhen zu besiedeln.

Obwohl reichlich Literatur über die Walser vorhanden ist, wurde fast nichts über die Besiedlung von Vallorcine schriftlich festgehalten. Die Geschichte dieses Tales ist jedoch interessant, denn bis heute ist ihr genauer Verlauf nicht bekannt. Es existiert eine Urkunde aus dem Jahre 1091, in der Aymon de Genevois der Abtei von Saint-Michel das Gebiet „von Chamonix mit all seinen dazugehörigen Ländereien ab dem Gewässer Diosa und dem Blanche-Felsen bis Balmes“ schenkte. Die Schenkung umfasste also das Land vom Arve-Hochtal über Servoz bis zum Balmes-Pass.

Es wird zwar anerkannt, dass Vallorcine in der Schenkung inbegriffen war, dennoch treten auch Zweifel auf. Die Beschreibung zeigt, dass die Verfasser die natürliche Verlängerung des Tales von Chamonix bis zu den Quellen der Arve meinten, was damals auch die übliche Verkehrsverbindung ins Wallis war. Allerdings stellt sich die Frage, warum ein Tal von der Bedeutung des Vallorcine, dessen Fluss dazu noch in entgegengesetzter Richtung der Arve fließt, das nach Norden orientiert ist, und das zum Rhonebecken gehört, im Falle einer Schenkung nicht einmal erwähnt worden wäre. Es gilt aber auch zu bedenken, dass die Existenz dieses Tales kaum bekannt war, da Geographen und Historiker Vallorcine lange Zeit in das Tal von Chamonix einordneten.

Weiters ist unbekannt, ob das Tal von Chamonix zum Zeitpunkt der Schenkung schon bewohnt war oder es nur als Weideland und Jagdgrund genutzt wurde. In der Urkunde werden nämlich Felder, Wälder, Almen und Jagdreviere erwähnt, ein Hinweis auf Bevölkerung taucht jedoch nicht auf. Sollte dies wirklich so gewesen sein, trifft dies auch auf Vallorcine zu, das außerdem damals die Hälfte des Jahres unter einer Schneedecke lag.

Vallorcine wurde im Jahre 1264 das erste Mal urkundlich erwähnt. Damals trat Richard, Prior von Chamonix, die Hälfte des Tales als Erbleihe an die „Theutonici“ ab.

Es dauerte also 170 Jahre, bis die Prioren sich für das Tal der Bären interessierten. Die Meinungen spalten sich, wenn es darum geht, ob die Prioren die Siedler gebeten hatten, das Land zu bewirtschaften oder ob diese schon dort sesshaft waren, als sie das Land bekamen.

Maurice GROSS ist der Meinung, dass die Urkunde von 1264 die Ankunft der Theutonici in Vallorcine bezeichnete, die wahrscheinlich von den Benediktinern aus Chamonix aus einer anderen alemannischen Abtei, Engelbert, Einsiedeln, Sankt Gallen oder Disentis, geholt wurden. Man weiß, dass es zwischen Vallorcine und der Abtei von Einsiedeln Verbindungen gab und bis ins 18. Jahrhundert Wallfahrten dorthin unternommen wurden.

André PERRIN hingegen behauptet, dass sich die alemannischen Siedler schon vor 1264 in Vallorcine niederließen, der Prior duldete sie lediglich und gewährte ihnen Freiheit und Unabhängigkeit. Die Urkunde bildet in diesem Fall „den Ausgangspunkt der Herrschaft der Prioren über die Alemannen unter dem Vorwand des Erbleihens“.

Roger COUVERT DU CREST vertritt die Meinung, dass, als die Priore ins Tal kamen, deutschsprachige Menschen schon die Sonnenhänge gerodet hätten. Die Prioren überließen ihnen den schon urbar gemachten Boden als Erbleihe.

Paul PAYOT ist überzeugt davon, dass die Prioren von Chamonix sich erst 200 Jahre, nachdem sie sich niedergelassen hatten, begannen, sich für dieses unabhängige Tal unter dem Vorwand der Konvertierung zu interessieren. RICHARD, Prior in Chamonix, beendete, obwohl er kein Recht dazu hatte, diese Situation und überließ den Alemannen als Erbleihe die Hälfte des Tales, das sie besetzten.

Eine weitere Theorie kommt von Paul GUICHONNET, der meint, dass die Siedler als Besitzer des von ihnen urbar gemachten Landes anerkannt waren. Diese scheinbare Gewährung stellt allerdings auch den Beginn der Herrschaft der Prioren über die „Theutonici“ dar, denn damit sind automatisch auch die Evangelisierung und die Überwachung der Durchfahrt ins Wallis gewährleistet.

Aus diesen Gründen wird (fast einstimmig) angenommen, dass die ersten Siedler tatsächlich vom Oberwallis herkamen und demzufolge Walser waren.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass es ohne wirkliche Beweise nicht möglich ist davon auszugehen, dass Vallorcine in der Schenkung mit einbegriffen war. Es vergingen über 170 Jahre, bis der Prior von Chamonix auf Vallorcine aufmerksam wurde. Es ist ebenso wenig genau feststellbar, wann die ersten Siedler nach Vallorcine kamen. Erst für das Jahr 1264 kann eine Besiedlung nachgewiesen werden, diese war deutschsprachig. Leider haben die Theutonici ihre Mundart aufgegeben und es ist schwierig, ihre Herkunft festzustellen. Dennoch kann man annehmen, dass die Bewohner von Vallorcine Walser waren.

Dezember 2005                                                  J.-P.Gougler

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Bibliographie:

J.Bernard, « Le sang et les hommes », 1983

R.Couvert du Crest, « Une vallée insolite, Chamonix, le Mont-Blanc, la Savoie », 1971

M.Gross, « La colonisation de la haute vallée du Trient », 1951

P.Guichonnet, « La Haute Arve et Vallorcine », 1976

H.Kreis, Die Walser. «Ein Stücksiedlungsgeschichte der ZentralAlpen», 1958

P.Payot, «Au royaume du Mont -Blanc», 1950

A.Perrin, «Histoire de la vallée et du prieuré de Chamonix», 1887

E.Rizzi, «Atlante delle Alpi Walser»,(3 volumes) 2005

P.Zinsli, «WalserVolkstum», 1969

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